Das 52. Capitel.
Einem krancken Kinde soll man die Artzeney nicht mit einem spitzigen Messer einrühren / es bekömmt sonst Stechen in Leibgen.

[102] Uber dieses Geheimniß zanckte sich ohnlängst eine Frau hefftig mit ihrem Mann / als dieser dem Kinde ein wenig Marggrafen Pulver mit einem Messer im Löffel einrührte / vorgebend / daß das Kind Stechen davon bekäme.[102] Der Mann kehrte sich aber nicht daran / sondern gab dem Kinde das mit dem spitzigen Messer eingerührte Pulver in GOttes Nahmen ein / davon das Kind nicht allein kein Stechen bekam / sondern verlohr auch das gehabte Reissen. Woraus gnugsam zu sehen / daß diese närrische Weißheit unter die weise Narrheit der abergläubischen Weiber gehöre. Und wie kan es auch möglich seyn / daß dieses solte einem Kinde Stechen machen / sintemahl ja die Spitze des Messers nicht in der Artzney / sondern am Messer bleibet. Ein anders wär es / so die Spitze des Messers abbräch / und vom Kinde mit eingeschlucket würde. Da dieses aber nicht geschicht / so kan die Messer-Spitze auch keine Würckung zum Stechen in die Artzney bringen / sonst müste auch folgen / daß so eine Artzney (wie offt geschicht) Messerspitzen weise ein genommen würde / der Patiente gleichfalls Stechen davon bekommen würde. Daß solches aber nicht geschicht / lehret uns die tägliche Erfahrung. Denn wie offt giebt man den Kindern Mithridat mit einem spitzigen Messer etc. etc. Also ist dieses Weiber Geheimniß wieder nichts.

Quelle:
Schmidt, Johann Georg: Die gestriegelte Rocken- Philosophie. Band 2, Chemnitz 1722 [Nachdruck Weinheim; Deerfield Beach, Florida 1987]., S. 102-103.
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